Pressespiegel zu "Neue Werke von Gildas Coudrais"

Gildas Coudrais in der GALERIE schwarz | weiss

Röhrender Hirsch und 4711

Von Tom Bullmann Osnabrück im Feuilleton der Neue Osnabrücker Zeitung vom 14.6.2006

 

Was halten Ausländer für typisch deutsch? Die alle Klischees bedienende Standardantwort lautet: Bier, Eisbein, Sauerkraut. Alle Fußballfans, die zurzeit unser Land besuchen, sind jetzt in der Lage, dieses Image durch eigene Erfahrungen zu differenzieren. Osnabrück ist zwar nicht Austragungsort der WM, doch auch die Stadt an der Hase erwartet hohen Besuch: Der Internationale Hansetag soll Gäste aus ganz Europa nach Osnabrück locken. Da bietet es sich an, das Thema "typisch deutsch" aufzugreifen: künstlerisch. Zur Kulturnacht, die am Freitag, 16. Juni, in den Hansetag eingebettet ist, präsentiert die GALERIE schwarz | weiss eine Ausstellung mit dem französischen Künstler Gildas Coudrais.

 

Coudrais lebt seit einem Jahr in Deutschland und hat die Vorlieben der Deutschen beobachtet. Das schlägt sich süffisant in seinen Bildern nieder, die er rückwärtig auf Glas malt und mit bearbeitetem Papier als farbigem Hintergrund unterlegt. Den röhrenden Hirsch, 4711 Kölnisch Wasser, Weihnachts- und Frühlingsfiguren aus dem Erzgebirge und "indisch blaues" Muster auf Porzellantassen entdeckte er und verarbeitete diese Impressionen zu Collagen mit Hintersinn: "Populär 1 - 6". Stimmt es, dass Napoleon Bonaparte 4711 zu trinken pflegte? Warum ist einer der Advents-Chorsänger mitten im Lied umgekippt? Warum singt ein Pelikan das Lied "Kommt ein Vöglein geflogen"? Warum verewigt sich der Künstler in dem Bild mit den Blumenkindern selbst, indem er sein Selbstporträt im Hintergrund als Aufforderung zum Schweigen den Finger auf die Lippen legen lässt?

 

"Das ist eine Anspielung auf den Angst- und Abhörstaat DDR", sagt Coudrais. Richtig, das gehört ja auch zum "typisch Deutschen". Witzig, ohne den (typisch deutsch) erhobenen Zeigefinger, mixt der in dem kleinen französischen Ort Cholet geborene Künstler Mythen und Klischees, ermöglicht so jedoch das Hinterfragen eingefahrener Positionen beim Betrachter.

 

Neben diesen neuen Werken sowie einer Reihe kleinerer Werke, die sich mit seiner eigenen Vergangenheit und seinem Großelternhaus in Frankreich beschäftigen, ist in der GALERIE schwarz | weiss auch die wandfüllende Installation "20.00 heures - en pays libre" zu sehen, die Anfang des Jahres 2006 bereits im Museum Villa Stahmer in Georgsmarienhütte ausgestellt war - eine kritisch-ironische Auseinandersetzung mit subtilen Mechanismen im Zeitalter der medialen Bilderfluten.

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