Von der Unbestimmbarkeit der Zwischenlagerung - eine assoziativ dissoziologische Collage

Laudatio auf Bayern2Radio am 21.9.2007

von Achim Heidenreich, Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe

 

Glück ist nicht quantifizierbar. Vielleicht ist es ohnehin nur in der Rückschau erkennbar: "Glück gehabt!" Aber, waren wir auch wirklich glücklich dabei, als wir meinten, dass wir selbst Glück gehabt hatten? Dem Vater im Himmel dankt man nicht für das persönliche Glück, sofern als solches identifiziert, sondern für das tägliche Brot und Vergebung der Schuld, sofern als solche empfunden. Alles weit entfernt von Kants ohnehin als negativ dargestelltem Streben nach persönlicher Glückseligkeit. Die hielte keinen Makrokosmos zusammen, keinen einzigen.


Es gibt eine ganze Generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit "Glück gehabt" ein "Noch-einmal-davon-Gekommen" und damit eigentlich die Kehrseite von Glück meinte, nämlich, dass man(n) "noch-am-Leben" sei - nicht mehr und nicht weniger. Das war keine Unschärfe, sondern ein ganz greifbares Faktum - man wollte wieder nach dem so tief verschütteten Glück greifen und bemerkte nur zu oft, daß es das ohne Schmerz eigentlich nicht mehr geben könnte.

 

In den Hörfetzen von Castrups "Von der Unbestimmbarkeit der Zwischenlagerung" ist vielleicht auch das gänzlich verfremdet deklamierte Glück "nur ein Traum". Wie von Ferne, aus dem Radiowellenbrei, aus dem mancher Zeitgenosse schon die Stimmen seiner Ahnen hat hören wollen und es dann doch nur die Deutsche Welle über Ferritantenne war, also: auch im verfremdeten, durch Telefonfilter und sonstige technischen Mätzchen bearbeiteten Wort "Glück" ist zumindest das Versprechen darauf als auratische, im Wortsinn, Verheißung gespeichert. Das, so könnte es sein, ist Castrups Unbestimmbarkeit und gibt den zweieinhalb Minuten jene Ewigkeit, die einst der Rock im gleichen Zeitraster für sich beanspruchte. Da hatte die Schallplatte aber noch zwei Seiten.

 

Glück wird in diesem Hörstückchen vorgeführt und steht im Widerstreit mit Ergebnissen der "Herrschenden Forschung", die jemand aus dem Off ex kathedra zitieren möchte, dem aber die Luft schneller ausgeht, als gedacht. "Gleichviel", mögen wir in lässiger Manier eines Prinz von Homburg antworten, als ginge es uns nichts an oder als stünden wir darüber. Weit gefehlt: Zu Metatexten wird Sprache hier nur aufgrund gänzlicher akustischer Unschärfe, gegliedert von Klavierakkorden und übereinander geschichtet wie eine kitschige Hochzeitstorte, deren Sahne sauer geworden ist, weil der Kloß im Hals dem satten "Ja" den Weg versperrt und aus deren Mitte gleich ein glibschiger Springteufel emporschnellt. Pustekuchen also, der Traum vom Glück. Richtig. So schnell wie es kommt, kann es sich auch wieder verziehen. Und man weiß gar nicht, wie glücklich man war. Ist es nicht so? "Die Zahlen stimmen" nämlich überhaupt nicht und schon gar nicht, wenn es um Glück geht, lieber Hans "im Glück" Castrup. Glück ist nicht quantifizierbar. Hört, hört! Die Rechnung, bitte.

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