Kunst-Räume

Text zum Katalog: Hans Castrup - 2004-2008

von Michaela Löbe, Kunsthistorikerin M. A., Bonn 2008

 

Eine Orientierung im Werk von Hans Castrup zu finden, ist wie einem Roman zu folgen. Einzelne Kapitel, die losgelöst voneinander einen bestimmten Augenblick beschreiben, ergeben erst in ihrer chronologischen Einheit einen Sinn. Genauso lässt sich das künstlerische Werk von Hans Castrup lesen, das zwar immer wieder Überraschungen bereithält, aber dennoch ein konsequentes Ziel verfolgt. Einzelne Schaffensperioden, die als schöpferische Kapitel bezeichnet werden können, sind voneinander losgelöst zu betrachten, erhalten aber erst eingebettet in das Gesamtwerk ihre umfassende Berechtigung. Über seine Arbeit verrät der Künstler nur so viel, dass es immer wieder die Schaffung abstrakter Kunsträume sei, die ihn faszinierten. Diese Affinität ist aus seiner Vorliebe für Landschaftsmalerei zu erklären, die er seit Beginn seiner künstlerischen Laufbahn als Grundlage für sein heutiges Werk sieht.

 

Der Weg dorthin ist die Summe von Arbeiten, die in ihren stilistischen Variationen das gesamte Spektrum künstlerischer Techniken ausschöpfen. Die Malerei, Fotografie und unterschiedliche Drucktechniken - selbst die Musik als Medium zur Herstellung von "Klangbildern" - finden Verwendung bei der Produktion seiner Bildwelten. Erstaunlich dabei ist, dass Hans Castrup sich all' dieser Techniken sowohl parallel als auch miteinander kombiniert bedient. Hierbei wird ein weiterer wichtiger Aspekt seiner Arbeit deutlich: die Struktur. Dieser Begriff ist durchaus doppeldeutig zu verstehen. Struktur findet sich einerseits in seiner Art zu arbeiten, andererseits auch in der Textur seiner Werke. Durch die strukturelle Oberflächenbehandlung, die er mittels Einarbeiten von Materialien sowie durch ritzen, kratzen und spachteln erzeugt, verleiht er der bemalten Leinwand gleichsam Ordnung, die dann wieder in bewusst konstruiertem Verhältnis zu den verwendeten Farben steht. Dadurch, und mit der farblichen Absetzung von Formen, erzeugt Hans Castrup neue Raumstrukturen. Besonders hier wird der Aspekt der kombinierten Sinnhaftigkeit wieder deutlich. Eine einzelne Form, die in ihrer Anschauung und Textur auf den Betrachter faszinierend und anziehend wirkt, erhält erst durch das Wechselspiel mit anderen Bildelementen ihre Berechtigung.

 

Diese subtile Faszination erreicht der Künstler durch seinen feinen Instinkt für die Kombination von Farben und Formen, die ein besonderes Raumvakuum erzeugen.
Losgelöst von vertrauten Sehgewohnheiten schweben die Formen, Linien und Muster in einem imaginären Raum aus Farbgründen. Während seine älteren Arbeiten vorwiegend geometrische Formen zeigen, hat sich das Repertoire in jüngster Zeit um ein Vielfaches erweitert. Mit Hilfe dieser Inhalte ergibt sich eine ganz neue Raumwirkung, die den Betrachter in eine fast digital anmutende Cyberwelt entführt. Punktgitter, Linienraster und lasierend aufgetragene Gitterstrukturen erhöhen das visuelle Verwirrspiel und erzeugen künstliche Perspektiven, die einen irrealen Bildraum beschreiben. Auch wenn man immer wieder versucht ist, diesen Formen einen realen Bezug abzuringen, um das Lesen der Bilder zu vereinfachen, so entwickelt schlussendlich doch nur die Phantasie des Betrachters eine Interpretation des Dargestellten.

 

Die bewusst abgestimmte Farbwahl tut ihr Übriges, die gängigen Sehgewohnheiten ad absurdum zu führen und eine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Bild herauszufordern. Den klassischen Einsatz von Farbe, wie man ihn von der realistisch geprägten Malerei kennt, gibt es im Werk von Hans Castrup nicht. Hintergründe sind nicht zwangsweise dunkler als Vordergründe, sondern oftmals verschwinden helle Farbtöne in den tiefen Ebenen des Bildes, während dunkle Farben ganz nah erscheinen. Das Arbeiten in einzelnen Schichten, die sowohl pastos als auch lasierend ausgeführt sind, erhöht das Spannungsmoment der Raumwirkung, gleichzeitig entstehen dadurch imaginäre Licht- und Schattenspiele. Hans Castrup lässt hier also drei Komponenten der Farbbehandlung ineinander fließen, die den Betrachter im ersten Moment verwirren, ihn aber ebenso zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Dargestellten herausfordern. Unvermeidlich haftet der Blick an einem Element und beginnt von hier aus sukzessiv eine Wanderung durch' das Bild. Erst nach und nach entdeckt der Betrachter, dass die Formen und Farben miteinander agieren und sich gegenseitig bedingen. Aufgrund der Kombination dieser zahlreichen Komponenten, und die dadurch entstehende Fülle im Bild, haben sich die Formate der Werke in letzter Zeit stark verkleinert. Einzelne Kleinformate, die durchaus seriell betrachtet werden können, vermeiden durch ihre Begrenzung einerseits eine visuelle und intellektuelle Überfrachtung, andererseits gibt der Künstler so den einzelnen Bildelementen mehr Gewicht.

 

In einigen Arbeiten wird die Interaktivität der Bildkomponenten noch durch die malerische Simulation von Zeit unterstützt. Mittels partieller Verwischung einzelner Inhalte wird Bewegung erzeugt, die dem Bild den Charakter kontinuierlicher Veränderung verleiht.

 

Aus dieser Entwicklung heraus ist für Hans Castrup der Anspruch entstanden, diese Stilelemente auf andere Medien zu übertragen, die eine Ergänzung oder Weiterführung der angestrebten Bildwirkung erzielen können. Neben der Druckgrafik, die sein malerisches Werk bereits seit vielen Jahren begleitet, und die zu einer eigenständigen Perfektion gereift ist, findet nunmehr die Fotografie zunehmend Eingang in das Werk des Künstlers. Dieses Medium erlaubt das Experimentieren mit Bewegungsunschärfe in einer Art und Weise, wie es die Malerei nicht bietet. Immer wieder versuchen Maler, Bewegung in Anlehnung an die Fotografie umzusetzen. In der gegenständlichen Malerei ist das längst gelungen. Schwieriger wird es, eine abstrakte Idee von Raum und Zeit künstlerisch darzustellen. Hans Castrup gelingt das durch die Verwendung und Kombination unterschiedlicher Medien, deren Zusammenspiel häufig erst nach mehrjähriger Entstehungszeit der einzelnen Komponenten in einem Gesamtkunstwerk kulminiert.

 

Fotografische Arbeiten entstehen des Öfteren aus der Aufnahme von Bildfragmenten der zuvor gemalten Leinwandarbeiten. So lassen sich die Faktoren Zeit und Bewegung in jedes Bild einbinden, während sich etwas ganz Neues entwickelt, das eine eigenständige Bildinterpretation verlangt. Der Grad der Verfremdung entsteht dabei vielfach zufällig, da die Aufnahme aus der Bewegung fotografiert wird. Ein vordefinierter, exakter Bildausschnitt kann daher im Vorfeld nicht gegeben werden. Aus einer konkreten Vorlage wird ein Zufallsprodukt, dessen Aussehen der Künstler im Nachhinein lediglich aus der Festlegung des Bildausschnitts bestimmt. Auf intensive Nachbearbeitungen am Computer verzichtet er weitestgehend. Der künstlerische Prozess besteht darin, eine für ihn ästhetische Komposition herauszuschälen, um den Betrachter zu einem spannenden Dialog einzuladen. Bei genauerer Analyse der Bildentstehung wird zudem deutlich, dass Hans Castrup in seinen fotografischen Arbeiten wieder stärker auf seine künstlerischen Wurzeln als informeller Maler zurückgreift. Während seine Gemälde im Laufe der letzten Jahre erkennbar konstruiert wirken, sind die Fotografien in ihrer Entstehung von gestischen Handlungen geprägt. Man kann sie auch als informelle digitale Kunstwerke bezeichnen, die sich von dem rein Abbildhaften gelöst haben und den Betrachter zu einer unvoreingenommenen Annäherungsweise auffordern.

 

Konsequenterweise findet die abstrakte Raumfindung des Hans Castrup ihre Entwicklung in der Loslösung von visuellen Darstellungsformen. Bereits seit einigen Jahren experimentiert er mit der Komposition von Klangwelten, die eigenständig, aber auch als Ergänzungen zu seinen Bildern, eine weitere Dimension der Räumlichkeit definieren. Faszinierend für Hans Castrup ist dabei die Körperlosigkeit von Tönen, die ihn von den Zwängen befreit, alle Gedanken und Aktionen in Farbe zu manifestieren. Dennoch bietet sich eine ähnliche Herangehensweise an, um dem Ziel der abstrakten Räumlichkeit näher zu kommen. Denn mit den Tönen verhält es sich wie mit den Formen, Farben und Strukturen der Malerei: Sie bedingen einander und ergeben erst in der Gesamtheit ein Werk. Die technischen Möglichkeiten sind breit angelegt und lassen viel Platz für Experimente und Zufälle. Jedoch bilden seine Klangfolgen weniger eine Melodie, sondern kulminieren in Verbindungen von Harmonien und Disharmonien, die eine abstrakte klangliche Welt erschaffen.

 

Zusammen mit eigens dazu "komponierten" Gemälden, die Hans Castrup zu raumgreifenden Installationen verwandelt, entsteht ein emotionales Erlebnis aus all' seinen künstlerischen Fähigkeiten. In diesen "Klangbildern" vereint sich die gesamte kreative Philosophie des Künstlers: eine abstrakte Definition von Raum und Zeit, die in gigantischen Farb-, Formund Klangeindrücken auf den Betrachter einströmen.
Die einzelnen Kapitel des Buches, spannend, fesselnd und handwerklich gekonnt ausgearbeitet, fügen sich hier zu einem fertigen Roman zusammen. Und dennoch lassen neue technische Möglichkeiten und der kreative Drang des Künstlers immer wieder Platz für mitreißende Fortsetzungen.

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