Kurzbeschreibung der fotografischen Projekte von Stephan Kaluza
komplexe physische und geistige Objekte fotografisch horizontal komprimieren und damit visuell erfahrbar machen
Stephan Kaluza über seine fotografischen Projekte
Die Projekte des Künstlers Stephan Kaluza basieren auf dem Gedanken, komplexe physische und geistige Objekte fotografisch horizontal zu komprimieren und damit visuell erfahrbar zu machen.
Unter – komplexe Objekte – werden hier Phänome eines räumlichen/kulturell verdichteten Ausmaßes verstanden, die mit einem (-menschlichen-) Blick in dieser Form so nicht sichtbar wären, z.B.:
physis: landschaftliche Phänomene, wie Flüsse, große Inseln, Kontinente
cognis: übereingekommene Geisteszustände, wie Handlungsabläufe, Historik
Die horizontale Komprimierung bezieht sich hierbei auf die Anwendung von mehreren tausend Fotografien pro Objekt, die anschließend in einem lückenlosen einzigen Foto aneinandergereiht, bzw. digital montiert werden.
Im Rahmen der Aufnahmen von physischen Objekten werden die Fotos hierbei in mehreren Monaten erstellt; - ein Fluss wird zu Fuß abgegangen, ein Kontinent wird seitwärts von einem langsam fahrenden Boot aus fotografiert. Zum Teil entstehen auf diese Art bis zu 70 000 digitale RAW-Fotos, die anschließend als -ein- Foto/Fotostreifen die horizontale Komplexität des landschaftlichen Objektes veranschaulichen.
Die aphysischen Objekte beziehen sich wiederum auf kulturelle Positionen; im Sinne eines künstlerischen Statements (ohne einen dokumentarischen Anspruch) wird u.a. die jüngere Geschichte in einem überdimensional langem Bild interpretiert.
Als Beispiel dieser künstlerischen Auffassung zu physischen komplexen Objekten mag das "rhein-projekt" dienen:
Eine Wanderung von der Quelle des Rheines bis zu seiner Mündung. Im Minutentakt wird ein Foto des gegenüberliegenden Ufers gemacht. Die Fotos werden anschließend aneinander montiert, so daß eine Gesamtansicht des gesamten Rheinufers vom Piz Badus (Quelle) bis zur Nordsee entsteht, 1.620 km.
Die so entstandene Montage von über 21.000 Fotos ergibt in ihrer Gänze einen komprimierten Fotoraum von 3.000 Metern Länge.
Auf diese Art soll eine neuartige künstlerische Bildsprache entstehen, die im Anschluss in einem Buch (Verlag Walter König, Köln) und in mehreren Ausstellungen präsentiert wird.
Das "Phänomen Rhein" bot sich für diese Art der Fotografie an. Einerseits gilt der Fluss, auch heute noch, als ein europäisches und besonders auch deutsches Symbol, andererseits liefert er eine eindringliche Dramaturgie der Veränderung: die Ufer des Rheines sind nur selten noch naturelle; größtenteils sind sie künstlich und für die menschliche Mobilität und einen merkantilen Nutzen inszeniert. So gesehen trägt der traditionelle "Mythos Rhein" nicht zuletzt einen Widerspruch in sich, der neben der fotografischen Formsprache in dieser Projektarbeit sichtbar werden soll.
Ein weiterer wesentlicher Faktor des Projektes ist die Darstellung einer zeitlichen Bild-Abfolge. Die Komplexität des Flusses wird im Laufe von Tagen und Jahreszeiten festgehalten. Die Fotos zeigen somit nicht "nur" die Landschaft des Rheines, sondern auch vielmehr seinen Charakter im Spannungsfeld der zeitlichen Veränderungen, gesehen in einer allgegenwärtigen menschlichen Präsenz. Die Zeit spielt auch bei der Präsentation der Fotos selbst eine wesentliche Rolle; - die gänzlichen Bilder des Projektes sind nicht unmittelbar, "auf einen Blick" zu sehen, - bedingt durch ihre große Anzahl muss man sie sich als Betrachter vielmehr linear "erlesen", um den Wandel der gezeigten Landschaft zu fassen. Die Bildmontagen bieten dabei ein Paradoxum: obwohl die einzelnen Teile dieser überlangen Fotos zu unterschiedlichen Zeiten gemacht wurden, heben sie als einheitliches ganzes Foto diese Zeitunterschiede wieder auf; - zu sehen ist ein einzelner Foto-Raum, in dem die Zeit außer Kraft gesetzt scheint.
Die Aufnahmen werden von einem Fußgänger gemacht, d.h. der Körper bestimmt die Geschwindigkeit vom jeweiligen Minutensignal bis zum nächsten, es gibt keine rollenden Hilfsmittel irgendeiner Art. Das menschliche Gehen gerät so zum Maßstab der Aufnahmen vom Fluss, eine mehr und mehr unübliche Auffassung von Zeit. Darin liegt ein bewußt unaktuelles Sehen begründet, es entstehen direkte Bilder, die eben nicht auf künstlichen und virtuellen Katalysatoren beruhen. So gesehen gleicht diese Projektidee einem bewusst gewählten Anachronismus; versus einer sich ständig beschleunigenden Gesellschaft, die ihrerseits ein anderes und konstruiertes Sehen entwickelt hat.