Reminiszenzen

Eröffnungsrede zur Ausstellung im Theater Osnabrück

von Toni Walz, M.A.

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Der französische Geisteswissenschaftler Jacques Lacan hat für das Spannungsverhältnis von Bild und Betrachter eine dialektische Konzeption entwickelt. In seinen Ausführungen blickt nicht nur der Betrachter das Bild an, das Bild blickt auch den Betrachter an. Lacan erklärt (von mir stark vereinfacht), dass wir ein Bild nur wahrnehmen, weil es uns als Reflexion von Licht durch dieses anblickt. Bei Pawlow verstärkt sich dieser physikalische Effekt um eine inhaltlich thematische Komponente. Jede/Jeder einzelne von Ihnen wird von diesen künstlerischen Arbeiten betrachtet, nimmt so eine Position zum, ja im Bild ein, wird Teil der komplexen Kommunikation innerhalb des Bildpersonals und anderer gestalterischer Elemente.

 

Die Figuren in Pawlows Bildern wirken nie fremd, sie sind sich eines Betrachters bewusst, sie scheinen Ihre Anwesenheit, meine Damen und Herren zu bemerken, und haben den Betrachter/Sie in ein Gespräch, in eine Auseinandersetzung, ein zärtliches Augenspiel verwickelt noch bevor der/Sie es merken. Die Bilder Pawlows sind dem Betrachter immer einen Schritt voraus. Der Betrachter nimmt also an Pawlows Bildern teil. Es sind die Figuren in seinen Bildern, die den Betrachter indirekt oder direkt anblicken. Sobald der Betrachter sich auf diesen Blick einlässt, ist er verloren, er ist im Bilde.

 

Pawlows Bilder verführen, verwickeln und nehmen gefangen. Das geht so weit, das der Betrachter auch das Gefühl haben kann, dem Bild zu nahe getreten zu sein, besonders wenn die Figuren verletzlich, ja verletzt scheinen. Man scheint in ihre Privatsphäre eingedrungen zu sein. Alle Elemente gehen Beziehungen miteinander ein, die seine Bilder bestimmen, bis hin zur Verweigerung und Negation. Der Philosoph Maurice Merleau-Ponty sagte: "Der Künstler fixiert für die "menschlichsten" der Menschen das Schauspiel, an dem sie teilnehmen, ohne es zu sehen, macht es ihnen zugänglich."

(Maurice Merleau-Ponty: Der Zweifen Cézannes. In: Was ist ein Bild? Hrsg. Von Gottfried Boehm. München : Fink, 1994.)

 

Dieses Schauspiel ist ein komplexes, manchmal ganz logisch folgerichtiges, dann wieder unverständlich oder auch hintergründig. Es scheint sogar auseinander zu fallen. Die Motive der künstlerischen Arbeiten Arsentij Pawlows sind in der jüngeren Vergangenheit zusehends fragmentarischer geworden. Die klare Erzählstruktur früherer Bilder hat einen Destruktionsprozess durchgemacht, und auch seine künstlerische Technik hat sich verändert. Während Pawlow früher noch sehr bei den alten Meistern schaute, wird sein künstlerischer Prozess nun von einer intensiven selbstreflexiven Befragungen seines künstlerischen Materials bestimmt, dabei finden materielle Eigenart und Motivik zu einer Symbiose zusammen. Bildteile werden auseinander geschnitten, rücken auseinander und schaffen so einen Leerraum, einen Denkraum. Oder sie rücken zusammen und beginnen einander zu überlagern oder finden sich hinein collagiert oder hinein gedruckt in einem völlig neuen Kontext wieder.

 

Die Bilder sind so vielleicht schwerer zu lesen, aber diese Erschwernis kann nur produktiv für das Verständnis sein. Pawlow stutzt seine Elemente auch zurecht und strukturiert sie zu komplexen Bildern. Das Fragmientieren der Bildelemente, ist selbst ein künstlerischer Gewaltakt und ist vielleicht am ehesten vergleichen mit der Art und Weise in der Heinrich von Kleist seinem künstlerischen Material Sprache Gewalt antat. Mit seinen auch widersprüchlichen Satzverschachtelungen und unerwarteten Auslassungen schuf Kleist eine Athmosphäre, die ich denen der Bilder Pawlows sehr nah finde.

 

"In den Dramen und Erzählungen Heinrich von Kleists kommt es immer wieder zu eruptiven Ausbrüchen von Gewalt. Die Protagonisten werden erschossen, erschlagen, enthauptet. Aber die Texte Kleists evozieren Gewalt nicht allein im Akt des Tötens, sondern häufiger noch und subtiler im/als Sprechakt. Sprache – und das meint auch: Schrift, Gestik, Mimik – erzeugt bei Kleist geradezu ausweglos gewaltsame und katastrophale Szenarien."

(Eckschmidt, Ralf: Heinrich von Kleist – Sprache der Gewalt/Gewalt der Sprache.)

 

Eines dieser komplexen Bilder von Pawlow ist das monomentale Schlachtenbild. Hier treffen Krieg und Frieden aufeinander, und beide Bereiche enthalten Verschachtelungen, gehen miteinander seltsame Beziehungen ein. Dieses Bild ist ein Schlachtenbild, aber auch wieder nicht. Ein Großteil des Bildes wird von Gewalt bestimmt, die dargestellten Gesichter zeigen unterschiedlichste Seelenzustände eines Kriegszusammenhanges, die Gesichter ergeben keine durchgehende Erzählung, ihre Fragmentierung scheint einfach keinen Sinn zu ergeben. Sie erscheinen wie ein Stakkato, das vielleicht an Billy Joels: "We didnt start the fire" erinnert. Diese seltsamen Gesichter befinden sich inmitten zerstörter Materie, in schwer zu definierender Leerräumen, losgelöst, haben nichts heldenhaftes, eher Reste von leerer Pose. Die Blickbeziehungen zwischen ihnen erzeugen eine eigentümliche Dynamik und Dramatik, die den Betrachter dazu bringen können sich vor diesem Bild zu bewegen, sich sehend dieses Schlachtfeld sukzessive zu erarbeiten, es sozusagen, leichenfleddernd einzunehmen. Wie eine weichgezeichnete Utopie oder Erinnerung, wie aus einer anderen Welt, wirkt da der rechte friedliche Bildbereich, für den sich kein davor oder danach ausmachen lässt. Die Fragmentierung der Bildelemente, enthebt diese Ihrer Zeitlichkeit und einem vorgegebenen kausalen Gefüge. Der Betrachter muss diese Verbindungen selbst herstellen während er im Bilde ist.

 

Ähnlich verhält es sich mit der Erinnerung, auch sie geschieht in Fragmenten, die sich ihrer Zeit enthoben haben und in der Rückschau erst kausale Verbindungen evozieren. Diese Erinnerung ist flüchtig, die Erinnerungsbilder verschwinden mit der Zeit, man kann sich zum Teil nicht mehr erinnern, das heißt es verändert sich aber mit der Zeit auch die Geschichte.

 

Arsentij Pawlow zeigt in dieser Ausstellung künstlerische Arbeiten unterschiedlicher Techniken, die Dekonstruktion, das Fragmentieren, die Flüchtigkeit ihrer Motive zeigen, diesen Prozess sichtbar machen, in einer Art Patina.

 

Was bleibt, sind Erinnerungen, Überbleibsel von Bedeutung, Reminiszenzen!

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